CEO-Brief
an die Aktionärinnen
und Aktionäre

Sehr geehrte Aktionärinnen und Aktionäre, sehr geehrte Damen und Herren,

CEO-Brief
an die Aktionärinnen
und Aktionäre

Sehr geehrte Aktionärinnen und Aktionäre, sehr geehrte Damen und Herren,

ein zweifelsohne außergewöhnliches Jahr liegt hinter uns – für die globale Sicherheitsordnung, für Europa und für unser eigenes Unternehmen. Bundeskanzler Scholz hat in seiner Bundestagsrede vom 27. Februar 2022, nur wenige Tage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, den Begriff der Zeitenwende geprägt und damit eine Zäsur in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik beschrieben, die auch für HENSOLDT erhebliche Auswirkungen hat.

Die vielfältigen Implikationen der Zeitenwende in Deutschland, der zunehmenden Entwicklung Europas hin zu einer Militärunion und der Renaissance der NATO beleuchten wir in einem eigenen Beitrag in diesem Geschäftsbericht.

Im Kern bedeutet die Zeitenwende einen realistischen Blick auf alles, was mit Verteidigung und Sicherheit zu tun hat: nämlich die Erkenntnis, dass Frieden und Stabilität in unserer Welt nicht einfach gegeben sind, sondern geschützt und verteidigt werden müssen. Dazu brauchen wir unter anderem handlungsfähige Streitkräfte und eine leistungsfähige wehrtechnische Industrie. Um es deutlich zu sagen: Diese Perspektive ist aus meiner Sicht eine Rückkehr zur Normalität. Denn die Berechtigung und Notwendigkeit von Verteidigungsfähigkeit stand für mich nie in Frage.

Mit der Zeitenwende erkennt heute eine breitere Öffentlichkeit an, welchen Beitrag wir als Unternehmen für ein sicheres Morgen leisten. Mit der Marktposition, die wir uns in den vergangenen Jahren aufgebaut haben, sind wir sehr gut aufgestellt, um diese Rolle umfassend auszufüllen und die damit verbundenen neuen Geschäftschancen in Deutschland, der NATO, aber auch weltweit zu nutzen. Dabei sind wir uns sehr bewusst, dass diese Chancen mit einer großen Verantwortung einhergehen: Die Bundeswehr und die Streitkräfte unserer Partner müssen zuverlässig und deutlich schneller als bisher beliefert werden. Als HENSOLDT haben wir in den vergangenen Jahren bewiesen, dass wir komplexe Projekte diszipliniert umsetzen und unsere Lösungen im vereinbarten Zeit-, Qualitäts- und Budgetrahmen liefern.

Dies ist auch ein wesentlicher Grund dafür, dass sich unser Geschäft im Jahr 2022 erneut hervorragend entwickelt hat. So arbeiten wir mit Hochdruck an den in den Jahren 2020 und 2021 gewonnenen Großprojekten Mk1, dem Eurofighter-Radar der nächsten Generation, und dem luftgestützten Signalaufklärungssystem PEGASUS und wandeln bereits heute Projektmeilensteine zuverlässig in profitablen Umsatz und Cashflow um.

Zu dem erneut starken Auftragseingang von rund 2 Milliarden Euro im vergangenen Jahr haben alle Geschäftsbereiche beigetragen. Dazu zählen beispielsweise der Auftrag über vier Marineradare TRS‑4D für die Mehrzweckkampfschiffe der Klasse F126 im Wert von 168 Millionen Euro, eine weitere langfristige Tranche zur Unterstützung der Eurofighter-Elektroniksysteme im Wert von 270 Millionen Euro sowie Radar- und Selbstschutzsysteme für die spanischen HALCON-Eurofighter im Wert von 175 Millionen Euro. Unser ziviles Geschäft mit Hochleistungs-Messtechnik trug im Jahr 2022 mit rund 45 Millionen Euro zum Auftragseingang bei.

Von herausragender strategischer Bedeutung ist der Auftrag über rund 100 Millionen Euro im Rahmen des „Future Combat Air System“ (FCAS) für die Entwicklung von Demonstratoren in den Kernkompetenzfeldern Radar-, Aufklärungs- und Selbstschutzelektronik, Optronik und übergreifende Vernetzung der Sensorik. Damit legen wir einen wichtigen Grundstein für die Beteiligung von HENSOLDT an diesem Milliardenprogramm der kommenden Jahrzehnte und stellen einmal mehr unsere Rolle als aktiver Gestalter europäischer Kooperationen unter Beweis.

Im vergangenen Herbst haben wir in Rekordzeit das erste von vier TRML‑4D-Hochleistungsradaren für das Luftverteidigungssystem IRIS‑T SLM in die Ukraine geliefert. Dafür haben unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit großem Engagement und einer besonders engen Zusammenarbeit über alle Bereiche hinweg gesorgt – ein hervorragendes Beispiel für den agilen Unternehmergeist, der uns bei HENSOLDT seit jeher auszeichnet und solche Leistungen erst möglich macht! Heute schützt unser Radar die Bevölkerung in der Ukraine so effektiv vor russischen Raketen- und Drohnenangriffen, dass die ukrainische Regierung Anfang 2023 zwei weitere TRML‑4D bei uns bestellt hat. Auch diese werden wir zügig liefern. Darüber hinaus wird das TRML‑4D, auch in Kombination mit unserem innovativen Passivradar Twinvis, ein wichtiger Baustein der von Bundeskanzler Scholz ins Leben gerufenen „European Sky Shield Initiative“ sein und neue Maßstäbe für Hochleistungssensorik in der Luftverteidigung im Mittelbereich setzen. Um die Lieferzeiten für unsere Kunden zu verkürzen, gehen wir in Vorleistung und haben die Produktion einer Tranche von 30 TRML‑4D-Radaren beschlossen – ein Quantensprung, der die neue Relevanz unserer Branche deutlich macht!

Wichtig war für uns im vergangenen Jahr auch, dass wir nach gut zwei Jahren Unterbrechung durch die COVID‑19-Pandemie endlich wieder den persönlichen Dialog mit unseren Kunden und Partnern führen konnten, zum Beispiel auf Messen wie der ILA in Berlin, der Eurosatory in Paris oder der AAD in Pretoria. Zu den Höhepunkten des Jahres 2022 zählten für HENSOLDT auch der Baubeginn unseres neuen Technologie-Campus in Oberkochen, die Einweihung des neuen Laborgebäudes in Ulm für die Programme PEGASUS und Eurofighter sowie die vereinbarte Kooperation mit der israelischen RAFAEL zur Ausrüstung des Eurofighters mit Fähigkeiten zur elektronischen Kampfführung. Mit der Ende des Jahres vereinbarten strategischen Kooperation mit „21strategies“, einem führenden Spezialisten für Künstliche Intelligenz der „dritten Welle“, treiben wir die Entwicklung Künstlicher Intelligenz für die nächste Generation von Verteidigungssystemen weiter voran.

Unsere hohe Innovationskraft verbinden wir sehr erfolgreich mit einem robusten und krisenfesten Geschäftsmodell. Bevor das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro in Deutschland überhaupt wirksam wurde, haben wir im Geschäftsjahr 2022 erneut unsere ambitionierten Ziele erreicht und vielfach sogar übertroffen: Mit unserem Auftragseingang von rund 2 Milliarden Euro verzeichnen wir nun einen Auftragsbestand in Rekordhöhe von 5,4 Milliarden Euro und ein Verhältnis von Auftragseingang zu Umsatz von 1,2x. Der HENSOLDT-Umsatz stieg im vergangenen Jahr um 16 Prozent auf über 1,7 Milliarden Euro, das bereinigte EBITDA um 31 Millionen Euro auf 292 Millionen Euro. Mit einem sehr erfreulichen bereinigten Free Cashflow vor Steuern und Zinsen in Höhe von 219 Millionen Euro konnten wir den Verschuldungsgrad weiter auf 1,2x senken. Sie sehen: Wir halten Wort und liefern, was wir versprechen!

Mit der Ernennung von Celia Pelaz zum Chief Strategy Officer mit Verantwortung für unsere gesamte Geschäftsentwicklung in Deutschland und weltweit haben wir bereits 2021 einen Generationswechsel in unserem Führungsteam eingeleitet. Diesen haben wir im vergangenen Jahr sowohl im Vorstand als auch in unserem Executive Committee fortgesetzt. Neben Christian Ladurner als Finanzvorstand und Lars Immisch als Personalvorstand haben im Jahr 2022 auch Chris Ruffner (Leiter der Division Spectrum Dominance & Airborne Solutions) und Alexander Dahm (Chief Supply Chain Officer) ihre neuen Positionen als Mitglieder des Executive Committee angetreten. Sie alle kennen ihr Geschäft in- und auswendig und bringen wertvolle Erfahrungen für unseren nächsten Wachstumsschritt mit. Alle vier Kollegen sind mit HENSOLDT bestens vertraut und konnten vom ersten Tag an in ihrer neuen Funktion durchstarten. Gleichzeitig bringen sie mit viel Engagement neue Impulse ein, um die vor uns liegenden Chancen zu realisieren und Herausforderungen zu meistern.

Zu diesen Herausforderungen gehört unter anderem die zuverlässige Versorgung mit Vorprodukten und Komponenten angesichts branchenübergreifender Verwerfungen in den Lieferketten. Dass unsere Zulieferer zu rund 90 Prozent in Deutschland und Europa ansässig sind, mildert die Thematik für HENSOLDT erheblich. Darüber hinaus beeinflussen die anhaltend hohen Energiepreise und die Inflation insgesamt die Entwicklung der Kostenbasis unserer Produkte und deren Preisgestaltung. Wir haben all diese Themen sehr genau im Blick und spezielle Expertengruppen eingerichtet, die mögliche Auswirkungen auf unser Geschäft laufend bewerten und gegebenenfalls Maßnahmen empfehlen und umsetzen.

Vor allem aber wird uns in diesem Jahr und weit darüber hinaus die Realisierung der Zeitenwende und der damit verbundenen Chancen beschäftigen. Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro in Deutschland wird in den kommenden drei bis vier Jahren zu einer signifikanten Dynamik beim Auftragseingang führen und den „Superzyklus“ unserer Industrie deutlich voranbringen. HENSOLDT profitiert dabei von wesentlichen Veränderungen in der Einsatzdoktrin der Streitkräfte ebenso wie von zentralen technologischen Entwicklungen: Die Fähigkeit, schnell ein umfassendes Lagebild zu erstellen, diese Informationen in einem Netzwerk vernetzter Sensoren und Effektoren missionsgerecht zu verteilen, die Beherrschung des elektromagnetischen Spektrums – für all diese stark nachgefragten Aufgaben sind wir mit unserem Portfolio bestens aufgestellt. Aus den Vorhaben des Sondervermögens und der Ertüchtigung der Bundeswehr haben wir klare Prioritäten definiert, die wir mit Nachdruck verfolgen. Dazu gehören zum Beispiel die Digitalisierung der Landstreitkräfte, die Fähigkeiten des Eurofighters im elektronischen Kampf und die Sensor-Updates für Über- und Unterwasserplattformen.

HENSOLDT wird in den kommenden Jahren deutlich von der Kombination aus steigenden Verteidigungsbudgets und dem zunehmenden Trend zu vernetzten, intelligenten Systemen profitieren, der dem Marktsegment Verteidigungselektronik überdurchschnittliche strukturelle Wachstumsperspektiven bietet. Entsprechend haben wir Ende 2022 unsere kurz- und mittelfristigen Ziele angehoben und uns eine noch ambitioniertere Agenda für die Entwicklung unserer Kennzahlen gesetzt. Denn heute zahlt sich aus, dass wir mit HENSOLDT eine langfristige Wachstumsplattform mit exzellenten und gut planbaren unternehmerischen Perspektiven geschaffen haben. Diese werden wir energisch weiterentwickeln, um unsere Marktposition kontinuierlich auszubauen – auch weil unsere Absicht mit Blick auf die absehbare Konsolidierung der europäischen Verteidigungsindustrie unverändert ist: HENSOLDT soll dabei eine aktive Rolle spielen und die Konsolidierung aus einer Position der Stärke vorantreiben.

Unsere Unternehmensstrategie weist den Weg zu nachhaltigem und profitablem Wachstum. Wir stellen sie regelmäßig kritisch auf den Prüfstand, um aktuelle Entwicklungen zu reflektieren, und haben dies im vergangenen Jahr mit Blick auf die Zeitenwende besonders intensiv getan. Dabei hat sich gezeigt: Wir sind auf dem richtigen Weg und werden unsere Strategie in Zukunft noch schneller umsetzen. Kern unserer DNA ist und bleibt die Entwicklung modernster Sensor- und Schutztechnologien für die Verteidigungssysteme von morgen. Dabei verknüpfen wir unser tiefes Verständnis der Anwendungsszenarien unserer Kunden und der enormen Datenmengen, die unsere Sensoren generieren, immer stärker mit umfassenden Kompetenzen in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Datenanalyse sowie mit der weiteren Digitalisierung unserer Sensorik. Auf dieser Basis treiben wir auch unsere Entwicklung zum Systemanbieter intensiv voran. Damit bieten wir unseren Kunden integrierte Gesamtlösungen, erweitern unsere Präsenz auf unterschiedlichen Plattformen und machen unser Geschäftsmodell noch robuster. Geografisch rücken durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine unsere Heimatmärkte in Europa wieder stärker in den Fokus. Natürlich werden wir die Chancen nutzen, die sich jetzt in Europa bieten. Gleichzeitig wollen wir unsere internationale Präsenz auch darüber hinaus weiter ausbauen.

Der Umgang mit ESG – also Nachhaltigkeit in den Bereichen Umwelt, Gesellschaft und Unternehmensführung – ist für uns ein strategisches Schlüsselthema. Denn als Technologieunternehmen der Verteidigungsindustrie ist es unser Ziel, die nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaften in Frieden und Freiheit zu ermöglichen – dazu gehört auch unsere originäre Verantwortung für einen umweltschonenden Umgang mit Ressourcen. Gerade für junge Talente ist ESG zu einem zentralen Kriterium für die Attraktivität eines Arbeitgebers geworden. Aber auch wirtschaftlich zahlt sich eine konsequente Nachhaltigkeitsorientierung aus.

Deshalb verfolgen wir unsere konzernweite ESG-Strategie sehr konsequent und wollen bis 2026 ESG-Benchmark in der Verteidigungsbranche werden. Als weiteren Meilenstein haben wir uns vorgenommen, bis 2035 CO2-neutral zu werden. Dass wir auf dem richtigen Weg sind, unterstreicht das zweite Rating von Sustainalytics eindrucksvoll: Auch im zweiten Jahr ist HENSOLDT die Nummer eins in Sachen Nachhaltigkeit in der Luftfahrt- und Verteidigungsindustrie. Wir konnten unseren Score weiter verbessern und werden weiterhin als einziges Unternehmen der Branche als „low risk“ eingestuft. Besonders hervorheben möchte ich die volle Punktzahl, die wir bei der Bekämpfung von Bestechung und Korruption, einem Schwerpunkt unseres Corporate-Governance-Ansatzes, erreicht haben.

Bei der Lektüre dieses Geschäftsberichts können Sie es in vielen Geschichten selbst erleben: Unsere Belegschaft von rund 6.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist hoch motiviert und arbeitet mit Leidenschaft an der Zukunft von HENSOLDT. Deshalb war es uns ein wichtiges Anliegen, ihnen die Möglichkeit zu bieten, sich am Unternehmen zu beteiligen. Dafür haben wir im vergangenen Jahr eine zweite Tranche unseres 2021 gestarteten Mitarbeiteraktienprogramms ECHO aufgelegt – mit erneut überwältigendem Erfolg! Mehr als 60 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit nahmen 2022 an ECHO teil und sind jetzt Aktionäre der HENSOLDT AG. Damit demonstrieren sie einmal mehr ihr Vertrauen in und ihr Engagement für das Unternehmen.

Sehr geehrte Aktionärinnen und Aktionäre, im Namen meines gesamten Führungsteams kann ich Ihnen versichern, dass wir uns unserer Verantwortung Ihnen gegenüber jeden Tag aufs Neue bewusst sind. Das vergangene Jahr war wirklich außergewöhnlich. Wir bei HENSOLDT sind uns treu geblieben, haben alle Ziele erreicht, unsere Pläne umgesetzt und damit Ihr Vertrauen bestätigt. Mein ausdrücklicher Dank gilt allen Aktionärinnen und Aktionären, die uns seit dem Börsengang mit ihrem Vertrauen begleitet haben. Wir werden auch weiterhin alles daransetzen, diesem Vertrauen gerecht zu werden.

Herzlichst, Ihr
Thomas Müller

Vorstandsvorsitzender
HENSOLDT AG